Diskriminierungsverbot bei Fahrenden
Die Fahrenden (Sinti und Jenische) sind seit Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten 1998 als nationale Minderheit ohne eigenes Gebiet anerkannt. Die Sinti und die Jenischen sind also vollwertige Schweizer Bürger_innen. Bundesrat Alain Berset erinnerte 2016 in einer Rede daran, dass diese Gemeinschaften als nationale Minderheit angesehen werden und dass die Schweiz deshalb verpflichtet sei, Standplätze für sie zu schaffen.
Die Probleme, auf welche die Minderheit der Fahrenden hinweist, haben schon deshalb eine Sonderstellung, weil unsere Rechtsordnung von einer sesshaften Bevölkerung eingeführt wurde. Der Platz, den diese Minderheit in unserer Gesellschaft einnimmt, hat sich also parallel zum Recht, aber auch zum Platz,den ihr Politik und Zivilgesellschaft einräumten, weiterentwickelt.
Die Gleichbehandlung der Fahrenden und das Verbot ihrer Diskriminierung werden durch Artikel 8 der Bundesverfassung (BV) garantiert. Das Diskriminierungsverbot untersagt namentlich, dass eine Person wegen ihrer Lebensform, Herkunft oder Kultur diskriminiert wird. Die Fahrenden sind also sowohl als Einzelpersonen, wie auch als Angehörige einer Minderheit geschützt.
Besondere Rücksichtnahme einer Richterin oder eines Richters von Jenischen
Die jenische Minderheit in der Schweiz war in der Vergangenheit erwiesenen Diskriminierungen ausgesetzt. Es wurden zahlreiche Verstösse gegen die Minderheit der Fahrenden verbrochen,namentlich die Verdingung von Kindern und die Anordnung von für sorgerischennZwangsmassnahmen.
Während einem Strafverfahren sind die Magistratspersonen manchmal dazu verpflichtet, einen strengen Ton anzuschlagen oder die am Verfahren beteiligten Personen an die Verhaltensregeln zu erinnern. Die Magistratspersonen können sich jedoch nicht auf die ethnische Zugehörigkeit beziehen, um prozessuale Massnahmen, wie die Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens, zu fordern oder um unpassende Bemerkungen zumachen, auch nicht stillschweigend.
Folglich kann gegen eine Magistratsperson, die sich so verhält, ein Ausstandsbegehren beim zuständigen Gericht eingereicht werden.
Quelle:
Bundesgerichtsentscheid vom 13. Juni 2017
Invalidenversicherung bei Fahrenden
Bei der Bemessung der Invalidität und der Resterwerbsfähigkeit, die man von einer Person verlangen kann, muss ihre nomadische Lebensform berücksichtigt werden. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die voraussetzt, dass die versicherte Person sesshaft wird und mit ihrer Familie und ihrer traditionellen Lebensweise bricht, darf nicht als zumutbar angesehen werden.
Wird die besondere Situation einer Person, die der Gemeinschaft der Fahrenden angehört, nicht berücksichtigt, so ist dies diskriminierend und verletzt die Grundrechte.
Quelle: BGE 138 I 205
Standplätze für Fahrende
Die Wohn- und Arbeitsgebiete müssen nach den Bedürfnissen der Bevölkerung gestaltet werden (Art. 3 Abs. 3 Raumplanungsgesetz). Die besonderen Bedürfnisse der Fahrenden als Bevölkerungsgruppe müssen berücksichtigt und erfüllt werden. Konkret bedeutet dies, dass für diese Bevölkerungsgruppe angemessene Wohngebiete (Standplätze) vorzusehen sind, die ihren Traditionen entsprechen.
Je nach Ausmass des Projekts und seiner Auswirkungen reicht eine einfache Baubewilligung nicht aus und ein vorgängiges Planungsverfahren ist notwendig.
Das Recht, seinen Wohnort zu wählen und damit die traditionelle Lebensweise der Fahrenden zu bewahren, lässt sich aus Artikel 8 EMRK und Artikel 13 BV ableiten, die den Schutz des Privat- und Familienlebens garantieren. Die Raumplanung muss angemessene Zonen und Orte vorsehen, die den Schweizer Fahrenden gemäss ihrer bundesrechtlich geschützten, traditionellen Lebensweise als Wohnort dienen können.
Quelle: BGE 129 II 321